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Die Zentralkläranlage wird zukunftsfähig - die vierte Reinigungsstufe kommt

Medikamente sind aus dem Alltag von Menschen und Tieren nicht mehr wegzudenken, die Entsorgung und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Umwelt sind jedoch problematisch. Immer mehr weggeworfene und ausgeschiedene Arzneimittel machen der Umwelt, im Speziellen den Gewässern, zu schaffen. Auch für Menschen kann das potentiell schädlich sein, schließlich gelangen Medikamente aus dem Abwasser zurück ins Grundwasser und über landwirtschaftliche Produkte oder die Trinkwasserversorgung wieder zu den Menschen. Laut dem Umweltbundesamt werden in Deutschland über 2.500 Wirkstoffe in der Humanmedizin verwendet. Sie sind dabei so konzipiert, dass sie unverändert an den Wirkort gelangen. Durch diese Stabilität und biologische Aktivität sind sie aber nur schwer aus dem Abwasser herauszufiltern. Aufgrund dessen verschärfte die Europäische Union in ihrer „Kommunalabwasserrichtlinie“ (KARL), die im April 2024 im Europäischen Parlament verabschiedet wurde, die Grenzwerte von Schadstoffen im Abwasser und fordert die flächendeckende Aufrüstung aller Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe; zum jetzigen Zeitpunkt aber eigentlich (noch) nicht für Kläranlagen unter einer Einwohnerzahl von 150.000 Einwohner.

Mit ihren rund 20.000 Einwohner möchte die Verbandsgemeinde Jockgrim trotzdem als Vorbild vorangehen und sich mit einer vierten Reinigungsstufe für die Zukunft aufstellen. Vor allem der Erfahrung und Weitsicht von Dirk Kröger, Leiter der Zentralkläranlage, ist es zu verdanken, dass die vierte Reinigungsstufe für die Verbandsgemeinde bereits bis Ende 2026 kommt: „Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie ist ein Meilenstein für den Gewässerschutz. Um die Einführung einer vierten Reinigungsstufe haben wir uns früh bemüht und sind seit 2022 Pilotprojekt für vierte Reinigungsstufen in kleineren Abwassereinzugsgebieten. Damit konnte sich die Verbandsgemeinde Fördermittel sichern, die nur denjenigen zur Verfügung gestellt werden, die sich frühzeitig mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Wir arbeiten eng mit der Struktur- und Genehmigungs-Direktion Süd (SGD Süd) in Neustadt und dem Umweltministerium Rheinland-Pfalz zusammen.“, so Kröger.

Die frühzeitigen Bemühungen und der vorrausschauende Blick auf zukünftige Technologien und Reinigungsmethoden sind auch aus der Entscheidung heraus motiviert, dass die SGD Süd den Otterbach ab 2022 als „besonders schützenswertes Gewässer“ einstuft. Alle Möglichkeiten, dessen Belastungen zu reduzieren, sollen genutzt werden. Dabei stehen vor allem die Phosphor- und die Arzneimittelbelastung im Vordergrund. Die Qualität von Stehgewässern bzw. deren ökologischer Zustand hängt stark vom Nährstoffgehalt, insbesondere vom Phosphor, ab; dieser Anteil ist quasi direkt proportional zum schädlichen Algenwachstum. Der sogenannte „Diclofenac-Referenzwert“ ist ein Maß für die Belastung des Wassers mit Arzneispurenstoffen, dieser Wert soll in Oberflächengewässern nicht über 0,05 Mikrogramm pro Liter liegen. Seit 2004 wird das Abwasser der Verbandsgemeinde in der Zentralkläranlage VG-Jockgrim gereinigt und über den nahen Otterbach erst dem Altrhein und dann dem Rhein bei Leimersheim zugeführt. Aktuell filtern drei Reinigungsstufen das Wasser: „Bisher nutzen wir mechanische, biologische und chemische Reinigungsschritte, entsprechend haben wir Vorklärbecken, ein Belebungs- und das Nachklärbecken.“, so Kröger. Um immer wieder ein aktuelles Bild des Zustandes des Otterbachs zu erhalten, werden seit mehreren Jahren regelmäßig spezielle Abwasseruntersuchungen an verschiedenen Messstellen der Zu- und Abläufe des Otterbachs durchgeführt. Auf deren Basis wurden bereits in den vergangenen Jahren Investitionen an der Kläranlage durchgeführt.  

Angesichts der Ergebnisse der letzten Abwasseruntersuchung und der aufkommenden Diskussionen um die Einführung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie beschließt die Verbandsgemeinde dann den Sprung nach vorne: „Den in unseren Gewässern erhöhte Wert für Mikroschadstoffe, insbesondere für Diclofenac, wollen wir so nicht stehen lassen.  Eine vierte Reinigungsstufe ist daher sehr sinnvoll, um diesen Wert in den Normbereich zu verschieben.“, so Bürgermeister Karl Dieter Wünstel, seinerseits Dipl.-Ingenieur mit Schwerpunkt „Wasser“. „Das ist auch mir ein Herzensthema und wir wollten hier schnellstmöglich einsteigen. Dirk Kröger hat mit seiner Expertise und seinem Engagement den Weg zum Pilotprojekt und der damit verbundenen Förderung bereitet, dafür bin ich ihm sehr dankbar.“ so Wünstel weiter. Anfang 2024 stellt Kröger dann die verschiedenen Filtermöglichkeiten einer vierten Reinigungsstufe in Form einer Machbarkeitsstudie im Werkausschuss der Verbandsgemeinde vor. Einstimmig fällt die Entscheidung auf die Filtration mit Kohleaktivpulver (PAK). Mit einer vierten Reinigungsstufe mittels Aktivkohlefilter werden neben einem erheblichen Anteil des Phosphors zusätzlich auch die Arzneimittelschadstoffe aus dem Wasser reduziert. „Die PAK hat eine sehr hohe Oberfläche, ist sehr porös und absorbiert die Spurenstoffe in der vierten Reinigungsstufe dauerhaft, ähnlich wie ein Magnet. Anschließend wird die PAK mit dem Klärschlamm verbrannt.“, so Kröger. Die Kosten für den Bau belaufen sich auf gut 3,7 Millionen Euro, Baubeginn soll nach jetzigem Stand Mitte 2026 sein.

Zusätzlich zu allen Maßnahmen der Verbandsgemeinde Jockgrim liegt die Verantwortung für die Arzneimittelbelastung im Wasser auch bei jeder Verbraucherin und jedem Verbraucher selbst. Ein umweltbewusster Umgang bei der Entsorgung wie auch in der Anwendung von Arzneimitteln wird vom Umweltamt empfohlen. So soll z.B. bei der Verwendung von Gelen und Cremes das einfache Abwischen der Hände mit einem Papiertuch vor dem Händewaschen und dessen richtige Entsorgung im Restmüll nach dem Gebrauch bereits spürbar helfen: Das Umweltamt geht bei Einhaltung dieser Maßnahme von über 60 Prozent weniger Diclofenac aus das ins Abwasser gelangt.